Sonderausgaben bei ausländischen Progressionseinkünften – Vorlage des BFH an den Europäischen Gerichtshof
Arbeiten Steuerpflichtige im Ausland und erzielen dort Arbeitslohn hat in vielen Fällen der Tätigkeitsstaat das Recht auf Besteuerung. Deutschland stellt dann regelmäßig die Einkünfte frei, berücksichtigt jedoch nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EstG die freigestellten Einkünfte bei der Ermittlung des anzuwendenden Steuersatzes (Progressionsvorbehalt).
Nicht selten kommt es dabei vor, dass der im Ausland tätige Arbeitnehmer nach dem dortigen Sozialversicherungssystem Beiträge zu leisten hat.
Nach § 32b Abs. 2 Nr. 2 handelt es sich beim Progressionsvorbehalt um Einkünfte, also lediglich um die Differenz zwischen Einnahmen abzüglich Werbungskosten. Aufgrund der Begrifflichkeit scheidet ein Abzug von Sonderausgaben bei den Progressionseinkünften daher aus.
Diese Beiträge werden auch nicht im Inland von der Bemessungsgrundlage (als vom zu versteuernden Einkommen) abgezogen, da sie nach aktueller Gesetzeslage im „Zusammenhang mit in Deutschland steuerfreien Einnahmen stehen“, siehe § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG.
Der Fall des BFH
Die in den Streitjahren (2005 und 2006) im Inland wohnenden Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger war inländischer Beamter und erzielte dadurch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klägerin war französische Staatsbürgerin und in der französischen Finanzverwaltung als Beamtin beschäftigt. Die Klägerin sollte u.a. Beiträge zur Krankenversicherung in Frankreich zahlen.
Die Einkünfte der Klägerin aus ihrer Tätigkeit in Frankreich sind nach dem sog. Kassenstaatsprinzip des Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. a DBA-Frankreich 1959 von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer der in den Streitjahren im Inland wohnenden und deshalb (vgl. § 1 Abs. 1 EStG 2002 n.F.) hier unbeschränkt steuerpflichtigen Kläger auszunehmen.
Die Einkünfte sind aber gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002 n.F. in die Ermittlung eines besonderen Steuersatzes einzubeziehen, der auf das zu versteuernde Einkommen der Kläger anzuwenden ist (Progressionsvorbehalt).
Die von der Klägerin gezahlten Beiträge zu Altersvorsorge- und Krankenversicherung mindern nicht als Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 EStG 2002 n.F. die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer.
Der Sonderausgabenabzug ist jedoch ausgeschlossen, weil die streitbefangenen Aufwendungen unter das Abzugsverbot des § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2002 n.F. fallen. Der Gesetzestext sei eindeutig.
Zweifel des BFH an der Vereinbarkeit des § 10 Abs. 2 Nr. 1 mit Europarecht
Nach der Rechtsprechung des EuGH verstößt eine nationale Regelung, nach der eine in einem Mitgliedstaat ansässige und in einem anderen Mitgliedstaat wirtschaftlich tätige Person, die im Tätigkeitsstaat geleisteten Sozialversicherungsbeiträge im Ansässigkeitsstaat nicht steuermindernd abziehen kann, gegen die in Art. 43 Satz 1 EG (jetzt Art. 49 AEUV) verbürgte Niederlassungsfreiheit und gegen die in Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AEUV) verankerte Dienstleistungsfreiheit (EuGH-Urteil Filipiak vom 19. November 2009 C-314/08, EU:C:2009:719, Slg. 2009, I-11049). Die Erwägungen dieser Rechtsprechung lassen sich im Grundsatz auf den Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit übertragen.
Der BFH hat daher dem Europäischen Gerichtshof (EUGH) mit Beschluss vom 16.09.2015 (AZ.: I R 62/13) folgende Fragen zur Klärung vorgelegt:
- Steht Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) einer Vorschrift deutschen Rechts entgegen, nach der Beiträge eines in Deutschland wohnenden und für die Verwaltung des französischen Staats tätigen Arbeitnehmers zur französischen Altersvorsorge- und Krankenversicherung – anders als vergleichbare Beiträge eines in Deutschland tätigen Arbeitnehmers zur deutschen Sozialversicherung – die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer nicht mindern, wenn der Arbeitslohn nach dem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und Frankreich in Deutschland nicht besteuert werden darf und nur den auf weitere Einkünfte anzuwendenden Steuersatz erhöht?
- Ist Frage 1 auch dann zu bejahen, wenn die fraglichen Versicherungsbeiträge im Rahmen der Besteuerung des Arbeitslohns durch den französischen Staat – konkret oder in pauschaler Weise